Soziale Frage

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Soziale Frage und Reichsgründung<bR>Berlin bis zum Ersten Weltkrieg

Mit dem Beginn der Industrialisierung richteten sich viele Hoffnungen auf den Kronprinzen Friedrich Wilhelm, den viele Menschen für liberal hielten.

Als er 1840 den Thron bestieg, blieb von den erhofften Reformen allerdings leeres Gerede. Die politische Situation verschlechterte und verschärfte sich noch durch eine Hungersnot im Jahre 1846. Kartoffelkäfer hatten die Ernte vernichtet, bitteres Elend herrschte in den Straßen Berlins. Es kam zu Unruhen. Aus purer Not stürmten die Menschen Marktstände und plünderten Bäckerläden.

Märzrevolution

Es gärte. Nicht nur in der Stadt, nicht nur in Preußen, in ganz Deutschland. Ein Funke reichte, um das Fass zum Explodieren zu bringen. Die Pariser Februarrevolution 1848 löste ihn aus. Dort war der König gestürzt worden. Diskussionsstoff gab es also für die Berliner Bürger genug, die sich in den Ausflugslokalen des Tiergartens die Köpfe heiß redeten und politische Forderungen formulierten.

Seit dem Abend des dreizehnten März war es immer wieder zu Zusammenstößen mit dem Militär gekommen. Der König sah sich in einer schwierigen Lage. Hilfe gegen seine aufständischen Bürger war nicht zu erwarten.

Vom russischen Zaren angeforderte Truppen konnten so schnell nicht nach Berlin anrücken. Am Morgen des 18. März 1848 wollten Zehntausende von Menschen ihrem König vier Forderungen vor dem Schloss bekannt geben: Abzug aller Truppen aus der Stadt, der Landtag solle sofort einberufen werden, eine bewaffnete Bürgerwehr solle aufgestellt werden, volle Pressefreiheit müsse gewährt werden.

Gegen Mittag zeigte sich die Majestät auf dem Balkon und gewährte die volle Pressefreiheit, weitere Reformen sollten folgen, ließ er über den Bürgermeister mitteilen.

Der Anblick des Militärs vor dem Berliner Schloss versetzte die Menge in Unruhe. Was dann geschah, konnte eindeutig selbst bis heute nicht endgültig geklärt werden. Zwei Schüsse fielen. In Windeseile errichteten die Demonstranten Barrikaden. Bürger gegen das Militär. Schüsse peitschten durch die Straßen, wilde Kämpfe tobten in der Stadt.

Sechzehn Stunden lang hielten die bewaffneten Unruhen an, dann wurden die Truppen abgezogen. Friedrich Wilhelm IV. und die alte Ordnung hatten verloren.

Er bestätigte die Pressefreiheit und gewährte zusätzlich Koalitions-, Versammlungs- und Wahlrecht.

Gegenrevolution

Gut zwei Monate später trat eine Preußische Nationalversammlung in Berlin zusammen, die eine Verfassung ausarbeiten sollte. Doch dazu kam es nicht mehr. Inzwischen hatten der König und seine Truppen erneut die Oberhand gewonnen, die Truppen des preußischen Generals Wrangel besetzten Berlin, die Nationalversammlung wurde zum Teufel gejagt. Die Demokratisierung war auf lange Zeit gescheitert. Erst 1918 sollte Preußen eine demokratische Verfassung bekommen.

Wirtschaftlicher Aufstieg

Trotz aller politischen Wirrnisse, des Stillstandes und der Rückschritte, wirtschaftlich entwickelt sich die Stadt prächtig. Schon 1837 war die Maschinenfabrik Borsig aus der Taufe gehoben worden, Firmen wie Siemens und Halske, Ravené, Egells, Heckmann, Schwartzkopff folgten. Insgesamt entstanden über eintausend Fabriken.

Zusätzlich wurden Banken und Aktiengesellschaften gegründet. Eisenbahnlinien verknüpften Berlin immer besser mit dem übrigen Deutschland. Das Stadtgebiet vergrößerte sich durch die Eingemeindung Moabits, des Weddings und Gesundbrunnens auf fast das Doppelte (von 35 auf 59 Quadratkilometer), etwa ein Fünftel der heutigen Gesamtstadt Berlin.

Soziale Misstände bleiben

Andererseits brachte das Wirtschaftswachstum ungeahnte soziale Missstände und Probleme mit sich. Die Bevölkerungszahl der Stadt explodierte. Während 1816 noch 223.000 Menschen in der Stadt lebten, hatte sich die Bevölkerung in nur 36 Jahren verdoppelt.

Von 1857 bis 1871 stieg die Einwohnerzahl auf 800.000, sechs Jahre später waren es eine Million Menschen. 1905 zwei und 1916 vier Millionen Bewohner.

Mietskasernen

Wie diese Menschen unterbringen? Das war die große „Soziale Frage“ dieser Zeit. „Mietskasernen“ entstanden. Bauvorschriften gab es so gut wie keine.

Einzige Ausnahme: Feuerspritzen mussten in den Innenhöfen wenden können. Dafür reichten rund dreißig Quadratmeter. So bauten Spekulanten auf den Arealen, die - so sah es der Bebauungsplan vor - rund 20 Meter breit und fünfzig Meter lang waren, Hinterhof an Hinterhof, manchmal zwei, aber auch drei oder vier Höfe hintereinander.

„Gartenhäuser“ nannte man diese überfüllten, fast licht- und luftlosen Räume, die zum Teil noch mit einer großen Kinderzahl, Untermietern oder so genannten Schlafburschen voll gepfropft waren.

Über 28.000 Berliner lebten zu siebt in einem Raum, 11.000 Menschen zu neunt, 85.000 Bewohner Berlins hausten in dunklen feuchten Wohnkellern. Die Säuglingssterblichkeit war entsprechend hoch. Noch 1880 starb jedes dritte Kind vor dem ersten Lebensjahr.

Die soziale Frage politisiert

Die „Soziale Frage“ wurde zur politischen. Die Arbeiterbewegung entstand. Schon 1848 hatte es den ersten deutschen Arbeiterkongress gegeben. 1863 gründete Ferdinand Lassalle den „Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein“, den Vorläufer der SPD. Die Arbeiter hatten ihre Kraft erkannt und eine eigene „Klasse“ gebildet.

Die „rote Stadt“ Berlin

Vor diesen sozialen Spannungen ist der Erfolg der Sozialdemokraten nicht nur in Berlin zu sehen. 1877 erhielt die SPD rund 40 Prozent der Stimmen, schickte aber nur, da durch das Dreiklassenwahlrecht benachteiligt, zwei der sechs Berliner Abgeordneten in den Reichstag. Ein Jahr später nahm Bismarck zwei vergebliche Attentate auf Kaiser Wilhelm I. zum Anlass, die Sozialdemokraten zu verbieten. Über Berlin und Umgebung wurde der „kleine Belagerungszustand“ verhängt. Alles, was nur den Ruch von Sozialdemokratie, von „Sozi“, wie man sagte, hatte, wurde verboten. Doch die so genannten „Sozialistengesetze“, die bis 1890 galten, konnten der Sozialdemokratie nicht viel anhaben. Denn sozialdemokratische Abgeordnete konnten aufgrund der preußischen und deutschen Form des Persönlichkeitswahlrechtes, bei dem keine Partei, sondern eine Persönlichkeit zur Wahl stand, weiterhin ins Parlament einziehen und ihren Stimmenanteil sogar noch ausbauen.

Schon damals wurden Formen bürgerlichen Ungehorsams und Widerstandes entwickelt, denen die Behörden machtlos gegenüberstanden: Bei Spaziergängen zu den Opfern der Märzgefallenen, bei der Verabschiedung von Ausgewiesenen, an Todes- und Beerdigungstagen von Genossen demonstrierte man machtvoll Stärke.

Die Regierungsseite unter Führung Bismarcks versuchte, die Arbeiterschaft mit einer fortschrittlichen Sozialpolitik zu „umarmen“. Unfall-, Kranken-, Renten- und Invaliditätsversicherungen dienten unter anderem dazu, einen Keil zwischen Arbeiterschaft und Sozialdemokratie zu treiben und von den restriktiven Maßnahmen des Staates gegen die Arbeiterpartei abzulenken.

Viel brachten diese Maßnahmen nicht, die Zahl der SPD-Anhänger und -Mitglieder stieg ständig.

Stadtbildveränderung Gründerjahre

Das Stadtbild in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg prägte vor allem der Ausbau der Straßen-, Stadt- und U-Bahnen. Ein Ringbahnnetz wurde angelegt, um die weit ins Umland ausufernde Stadt zusammenzuklammern und die Beweglichkeit ihrer Bewohner zu beschleunigen.

1871 nahm der östliche Teil, sechs Jahre später der westliche Teil den Betrieb auf. Während die Ringbahn mit Dampf betrieben wurde, fuhr schon zehn Jahre nach der Einweihung des östlichen Ringbahnteils die erste elektrische Straßenbahn. Weitere Linien, auch im Bereich der Untergrundbahn, folgten sehr schnell.

Die Verkehrsverbindungen machten es möglich, dass sich immer mehr Industriebetriebe außerhalb der Stadt, auf damals noch grünen Wiesen, ansiedeln konnten. Die Arbeiter konnten ihre Arbeitsstellen nunmehr schneller und, durch günstige Tarife später gefördert, preiswerter erreichen.

Schub auch für Wissenschaft und Forschung

Im gleichen Atemzug mit der Industrialisierung und der Verkehrserschließung der Stadt, gab es einen Schub im Universitätswesen und Wissenschaftsbereich.

Robert Koch entdeckte in Berlin den Tuberkelbazillus, Rudolf Virchow, Entdecker der Zellularpathologie arbeitete ebenfalls in Berlin. In Charlottenburg entstanden eine Technische Hochschule, in Dahlem die Institute der „Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften“, der späteren Max-Planck-Gesellschaft.

Eine Reihe von Wissenschaftlern aus Berlin erhielt für Forschungen und Entdeckungen in dieser Zeit den Nobelpreis.

Kultur

Das Berlin vor der Jahrhundertwende war auf kulturellem Gebiet weitaus nicht so wichtig, wie es nach dem Ersten Weltkrieg werden sollte. Literarisch ragten nur Theodor Fontane und Gerhart Hauptmann hervor, lange Zeit waren Adolph von Menzel und Anton von Werner die einzigen wirklich bedeutenden Maler, die sich allerdings mehr oder weniger dem Hof und dem Königshaus verpflichtet fühlten.

Erst Ende des 19. Jahrhunderts taten sich neue Strömungen auf, die einen Max Liebermann ebenso hervorbrachten wie eine Käthe Kollwitz oder einen Heinrich Zille, die das Leben und das Elend der Berliner Arbeiter in ihren Bildern darstellten.

Lovis Corinth und Max Slevogt waren Vertreter des Impressionismus, und auch der „Jugendstil“ feierte in Berlin glänzende Erfolge. Der Kaiser Wilhelm von Gottes Gnaden nannte das alles zwar „Rinnsteinkunst“, doch aufhalten ließen sich der Impressionismus und der Expressionismus durch derartige Verbalangriffe von S.M. auch in Berlin nicht mehr.

Gerade die bedeutenden Expressionisten zog die Reichshauptstadt an: Erich Heckel, Emil Nolde, Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, um nur einige zu nennen.

Bedeutende Museen wurden ebenso errichtet wie eine Anzahl von Theatern, z.B. das Deutsche Theater, das seit 1905 unter der Leitung Max Reinhardts stand.

Architektonisch galt der Wilhelmismus, mit seiner protzig-hochstilisierten Ausdrucksform als der letzte Schrei.

Die Fassaden der Mietskasernen wirkten nach vorne wie großbürgerliche Paläste. Doch in bestimmten Bereichen, wie beim Bau des Kaufhauses KaDeWe, trat die Funktion des Gebäudes auch äußerlich in den Vordergrund.

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