Nachtcafe

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Nachtcafé

von Katrin Müller de Gámez

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Wohl steigt die Sonne auf und nieder. Doch dringt sie nicht zu mir herein."
"Und vielleicht hab' ich dich gar nicht geliebt, Wasjka ... vielleicht liebte ich in dir nur ... meine eigne Hoffnung ... meinen Traum ... Verstehst du? Ich hatte gehofft, du würdest mich herausziehen ..."
"Der Mensch muss sich selber achten ..."
"Ein neues Leben ... ganz von vorn ... ja, das wäre schön!"

Aus Maxim Gorki "Nachtasyl"

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Es ist 4:30 Uhr früh, ich sitze im Obdachlosen-Nachtcafé und versuche die Augen offen zu halten. Heute haben wir 15 Gäste, also eine durchschnittliche Belegung; alles schläft gerade friedlich. Meist sind allerdings einige nachts in der Wohnung unterwegs: sei es zur Toilette, in die Küche wegen Durst oder einfach nur auf Achse aufgrund von Schlaflosigkeit oder auch auf der Suche nach einem, der mal zuhört wenn „die Seele überquillt“.

Diese Nacht kam wie so oft unsere ganz normale Klientel: manche noch mit Hoffnung auf einen Wiedereinstieg in die „normale“ Gesellschaft, manche resigniert, einige haben auch ihre Lebensphilosophie den Lebensumständen angepaßt. Ein bunt gemischter Haufen von jüngeren und älteren Männlein (mehr) und Weiblein (weniger), aufgeteilt auf zwei Zimmer mit cirka 30 Quadratmeter. Geschlafen wird auf Isomatten, zugedeckt mit Wolldecken und jeden Abend gibt es ein frisches Laken, einen Bettbezug und ein Handtuch.

Für die, die nichts mehr haben

Wir sind ein sogenanntes „Niederschwelliges Nachtcafé“, d.h. die Leute werden - bis die Plätze belegt sind - ohne Vorbedingung aufgenommen (im Unterschied zu vielen anderen Unterkünften in Berlin).

Nur wer „Stunk“ macht oder im Café Drogen bzw. Alkohol konsumiert, wird vor die Tür gesetzt. Getragen wird das ganze von 3 evangelischen Gemeinden der Bezirke Schöneberg-Tempelhof und Steglitz-Zehlendorf.

Der Dienst beginnt abends um 21 Uhr. Ein Hauptamtlicher (21 - 6 Uhr) und ein Ehrenamtlicher (21 - 23:30 Uhr) kümmern sich um: Tische decken, Abendbrot vorbereiten (Brot, Wurst, Käse oder - von Gemeindemitgliedern gespendet - etwas Warmes wie Eintöpfe, Tortellini mit Tomatensuppe u.ä., halt alles, was in einem Topf heißgemacht werden kann; dankenswerter Weise kommen an vielen Tagen auch die nicht-verkauften Brötchen einer Bäckerei als Spende zu uns).

Um 21:30 Uhr ist Einlaß, Abendbrot, danach Verteilung der Matten, Decken und Bettwäsche/Handtuch. Wenn gespendete Sachen wie Kleidung, Zahnbürsten, Kämme usw. vorhanden sind, fragen wir, ob jemand etwas benötigt. Ein kleiner Vorrat aus einem Erste-Hilfe-Kasten ist vorhanden, sodaß wir auch als primitiver „Hausdoktor“ fungieren können. Bei ernsteren Problemen können wir eine Ärztin anrufen, die in der Nähe wohnt und sich bereit erklärt hat zu helfen, oder aber müssen die Feuerwehr alarmieren.

Nach dem Abendbrot wird manchmal noch eine Weile erzählt oder sogar Karten gespielt, aber spätestens um 24 Uhr ist allgemeine Ruhe. Um 23 Uhr beginnt der zweite Hauptamtliche seinen Dienst (23 - 8:30 Uhr). Morgens um 6:00 Uhr kommt der nächste Ehrenamtliche (6 - 8:30 Uhr).

Dann ist Wecken angesagt, es gibt noch ein Frühstück und um 8 Uhr müssen alle das Nachtcafé verlassen haben, der Rest wird aufgeräumt, um 8:30 Uhr wird geschlossen. Da im Essensraum auch geschlafen wird, ist jeden Abend und jeden Morgen eine größere Umbauaktion im Gange.

Die Tische müssen zusammengeklappt oder übereinander gestellt, die Stühle gestapelt und vieles hin und her geräumt werden. Dabei ist zu beobachten, daß oft versucht wird, mit Hilfe der Stühle kleine Grenzen zu ziehen, kleine „eigene“ Bereiche abzutrennen.

Kaum Privatsphäre

Das Bedürfnis nach Privatsphäre kommt bei unseren Räumlichkeiten natürlich unter die Räder, die Stühle dienen als kümmerlicher Ersatz. Andererseits ist es bei Personen die sich kennen meist kein Problem, auch dicht an dicht zu liegen.

Ob Einzelpersonen oder Gruppen und Grüppchen, in fast allen Fällen kommt es irgendwie zu einer Einigung, denn die Aussicht auf eine Parkbank bei Minusgraden ist für alle Beteiligten noch unangenehmer, als eine Nacht in beengten Verhältnissen und unter teilweise Unbekannten zu verbringen.

Allerdings gibt es auch hin und wieder Situationen, bei denen es eine/einer vorzieht, sein Glück bei einer anderen Notunterkunft zu probieren. Wo immer möglich versuchen dann die Mitarbeiter, telefonisch etwas zu finden und zu reservieren.

Leider haben unsere Bemühungen nicht in allen Fällen Erfolg. Wenn die Person dann trotzdem das Nachtcafé mit unbekanntem Ziel verläßt, bleibt doch ein „schaler Nachgeschmack“ zurück.. (Wie hoch wäre denn meine eigene Toleranzgrenze in derartigen Situationen? Was würde ich noch hinnehmen können?)    

Die Betreuer kümmern sich ums Essen, den Abwasch, die Erstellung der Einkaufs- und Wäschelisten etc. Außerdem gilt es möglichst gute Auskünfte erteilen zu können und alles im Griff zu behalten.

Manchmal kommt es spätabends oder nachts auch zu Anrufen von anderen ähnlichen Einrichtungen, ob noch Plätze frei sind und sie uns Leute schicken können. Umgekehrt versuchen auch wir, wenn das Nachtcafé voll ist, per Telefon eine andere Unterkunft zu besorgen.

Eine ganz andere Welt

Es ist eine ganz andere Welt. Zu Anfang hätte ich nicht gedacht, daß ich mal so gut mit allem zurechtkomme. Aber man weiß anscheinend nie im Voraus, was man alles kann. Erst wenn man es dann tut.

Wieviele Nächte pro Woche das Nachtcafé öffnen kann, hängt jeden Winter von der finanziellen Situation des Projektes ab. Da es seit einiger Zeit kaum noch Zuschüsse von den Bezirksämtern gibt, müssen die Gemeinden das Projekt mit Hilfe von Sach- und Geldspenden fast alleine schultern.

as bedeutet, daß während des ganzen Jahres die Mitarbeiter zu verschiedenen Anlässen, wie etwa Kirchenfesten, Informations- und Sammelaktionen durchführen, notwendige Renovierungsarbeiten und Reparaturen organisieren und auch ständig nach neuen Mitstreitern suchen.

Geöffnet ist das Nachtcafé vom 1. November bis zum 15. April,  an drei Nächten pro Woche. Seit einigen Jahren kann sogar zu Weihnachten eine kleine Extra-Aktion stattfinden. In den Gemeinden werden nützliche Dinge gesammelt wie Socken, Zahnbürsten und Zahnpasta, Schokolade, Hustenbonbons, Papiertaschentücher  o.ä. und die so entstandenen „Weihnachtspäckchen“ werden Heiligabend bei einem kleinen Weihnachtsessen verteilt.

Als Resumé läßt sich sagen: das Engagement in einem derartigen Projekt tut gut. Man hat das sichere Gefühl, an etwas Sinnvollem mitzuwirken. Besonders, wenn man in den Medien liest, daß in Deutschland geschätzte 400 000 Menschen auf der Straße leben!

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